Papierstau in der Lieferkette
Wie Frachtbriefe aus Papier auch 2023 noch den Welthandel bremsen.
Als 2010 der Vulkan Eyjafjallajökull ausbricht, fallen 100.000 Flüge aus. Fracht im Wert von fast 50 Milliarden Euro staut sich. Logistiker sind gefordert, schnell alternative Kapazitäten in andere Handelsrouten zu identifizieren und zu buchen, wie auch in der Pandemie oder dem Ukraine-Krieg. Was jetzt zählt, ist relevante Informationen einer Fracht möglichst schnell mit neuen und bestehenden Lieferpartnern austauschen zu können. All das, was in den bis zu 50 Seiten des Frachtbriefes steht. Doch durch die stornierten Flüge kommen keine physischen Handelsdokumente, also Frachtbriefe aus Papier an ihre Bestimmungsorte. Denn so funktioniert auch 2023 immer noch der Seehandel.
Digitale Standards
30 Jahre nach dem „Start“ des Internets und 25 Jahre nach der Etablierung rein digitaler, grenzüberschreitender Prozesse ist die Handelsdokumentation per Schiff immer noch auf die physische Übertragung von Papierunterlagen angewiesen und zu 99 Prozent manuell, laut Zahlen von McKinsey. Es dauert rund sechs Stunden oder länger, wenn bis zu 30 verschiedene Personen den Dokumentationsprozess einer Seefracht bearbeiten, bis die Unterlagen als Luftexpresssendung physisch vom Ursprungsort zum Bestimmungsort transportiert werden. Kommen keine Flüge, bleiben Tausende Container mit fehlenden Dokumenten in Häfen liegen. Zollbehörden wie Seeterminal-Betreiber können unverifizierte Ladungen nicht freigeben. Es entsteht ein folgenschwerer Stau, der von Umsatzeinbußen und höheren Kosten für Versender bis zu einem totalen Wertverlust führen kann, wenn etwa Saisonware ihr Lieferdatum verfehlt.
Während die Luftfahrtindustrie digitale Standards implementiert haben, die automatisierte Handelssysteme ermöglichen, wird in der Schifffahrt immer noch gestempelt, kopiert und unterschrieben. Obwohl seit über 25 Jahren mehrere elektronische und gut funktionierende Frachtbriefe existieren, wird nur ein Prozent aller Frachtbriefe elektronisch versandt. Immerhin wurden Daten- und Prozessstandards für die Übermittlung von Versandanweisungen und die Ausstellung des Frachtbriefs bereits durch die Digital Container Shipping Association (DCSA) festgelegt und von neun Branchenriesen der Reedereilandschaft akzeptiert, die 70 Prozent des Containerhandels ausmachen. Bis dahin kommt es weiterhin zu einem kolossalen Lieferkettenstau, fallen Flüge länger aus.
Dabei können diese Komplikationen durch eine transparente und zugängliche digitale Dokumentation vermieden werden. Wie Untersuchungen, laut Berechnung von McKinsey, zeigen, könnte die Einführung eines elektronischen Frachtbriefs zu direkten Kosteneinsparungen für alle Beteiligten führen, die sich auf sechs Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Spediteure könnten Vorteile in Höhe von bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr erzielen, wie z. B. eine direktere Interaktion mit Verladern sowie optimierte und digitalisierte Arbeitslasten, die zu Kosteneinsparungen führen. Worauf wollen wir warten?