Lieferkette minus Risiko
Michael Rainer, Managing Director von DACHSER Air & Sea Logistics East Europe and Austria, erklärt, wie wir uns von den Risiken zu konzentrierter Lieferketten befreien können.
Die Welt ist vernetzter denn je und wir alle profitieren davon. Sei es in Form von Waren und Dienstleistungen aus aller Welt oder in Form von Wirtschaftswachstum, das uns die globalen Lieferketten gebracht haben. Sie haben uns aber auch verwundbar und abhängig gemacht, wie die Pandemie schmerzlich gezeigt hat. Seitdem kam viel Bewegung in die Lieferketten. Laut einer Umfrage von Gartner unter 400 Supply Chain-Managern haben 74 Prozent in den letzten zwei Jahren die Anzahl und Größe ihrer Lieferstandorte verändert. Sie haben ihre Lieferantenbasis deutlich erweitert und sich durch mehr Lagerhaltung vor Ort unabhängiger gemacht.
Risiken konzentrierter Lieferketten
Eine Studie von McKinsey zeigt, wie schleppend sich Lieferketten bisher verändert haben: Zwischen 2016 und 2021 hat sich die Konzentration der Lieferketten in keinem Sektor um mehr als 10 Prozent verändert. 40 Prozent des Welthandels hängen laut McKinsey immer noch von drei oder weniger Exportländern ab. Andersrum sind diese Länder aber enorm von China abhängig. Besonders bei alltäglichen Produkten wie Laptops, Mobiltelefonen, Kleidung oder Schlüsselprodukten wie Rohsilizium. Wenn China seine Lieferungen unterbricht oder diese unterbrochen werden, hat dies weitreichende Folgen für den Rest der Welt.
Apple geht nach Indien und Vietnam
Wie schnell der Umzug der Produktion gehen kann, zeigt Apple. Um die neuen US-Zölle auf chinesische Produkte zu umgehen, verlagert Apple Teile seiner chinesischen Produktion nach Indien und Vietnam. So wird das iPhone 14s bereits seit September 2022 in Apples neuer Produktionslinie im indischen Chennai hergestellt. In einer logistischen Meisterleistung wurden die neuen indischen Produktionslinien in Rekordzeit aufgebaut. Doch selbst nach dieser gigantischen Umzugsleistung wird noch nicht einmal ein Fünftel aller iPhones in Indien produziert. Zu komplex und einzigartig ist die über Jahrzehnte aufgebaute chinesische Infrastruktur aus unzähligen Fabriken und einzigartiger Produktionserfahrung. Dennoch haben auch weitere Riesen wie Samsung, LG Electronics oder Hasbro China verlassen.
Freiwillige Abhängigkeiten
Besonders verschärfend wirkt die nicht erzwungene sogenannte „wirtschaftsspezifische Konzentration“. Dabei kaufen Länder aus freien Stücken nur bei wenigen Handelspartnern ein, auch wenn es vielfältige globale Bezugsmöglichkeiten gäbe. So importieren die meisten Länder Weizen nur aus zwei oder drei Volkswirtschaften wie Russland, Kanada oder den USA, obwohl 90 Prozent des weltweiten Angebots aus 15 Ländern stammen. Dafür sind zahlreiche Faktoren wie Handelspolitik, Zölle, Transportkosten oder Qualitätsaspekte verantwortlich. Beispielsweise ist der Weizenexport nach Japan wegen Preisaufschlägen unattraktiv. Da Weizen ein schweres Gut ist, bedeutet dies hohe Transportkosten, insbesondere für Länder, die weit von den großen Anbaugebieten entfernt sind. Viele Länder ziehen es daher vor, Weizen von nahe gelegenen Exporteuren zu importieren. Einige Länder kaufen Weizen auch wegen seiner Protein- und Gluteneigenschaften.
Interessant ist auch, dass die Vereinigten Staaten fast alle ihre Sattelschlepper und leichten Nutzfahrzeuge aus Mexiko importieren, weil die Einfuhrzölle niedriger und die Lieferzeiten kürzer sind, während Mexiko fast seinen gesamten Bedarf an Mais, Propan und raffinierten Erdölprodukten aus den Vereinigten Staaten bezieht. Um seinen Inlandsbedarf zu decken, ist Mexiko in hohem Maße von Maisimporten und raffinierten Erdölprodukten abhängig. Als führender Produzent in diesen Bereichen sind die USA für Mexiko die naheliegendste Lösung.
Wie können Unternehmen ihre Risiken reduzieren?
Es gibt keine einfachen Antworten, aber einige erfolgversprechende Ansätze, wie z.B. Diversifizierung: Um ihren Abhängigkeiten bestmöglich zu begegnen, brauchen Unternehmen zunächst ein möglichst klares und aktuelles Bild ihrer Konzentration. Nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern nach alternativen Partnern und Routen Ausschau zu halten und stärker regional zu lagern, ist sicherlich die erfolgversprechendste Strategie. Oft lohnt es sich, zusätzliche Lieferquellen zu erschließen und Handelsbeziehungen neu zu gestalten. Je sorgfältiger Unternehmen ihre konzentrierten Risiken managen, desto widerstandsfähiger sind sie.
Stärkung
Einige konzentrierte Handelsbeziehungen können dennoch tatsächlich Wettbewerbsvorteile bieten, z.B. durch den Zugang zu fortschrittlichen Technologien. Es kann sinnvoll sein, diese Partnerschaften zu stärken, um Unternehmen widerstandsfähiger zu machen.
Die globalen Lieferketten sind jedenfalls kein starres Gebilde, sondern ein dynamisches Netzwerk. Sie müssen sich ständig anpassen und weiterentwickeln, um den Bedürfnissen und Erwartungen der beteiligten Akteure gerecht zu werden. Klar ist, dass unsere Lieferketten agiler und widerstandsfähiger werden müssen, um besser auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können.